Experten Blog – im Gespräch mit René Friedl
Der Spitzensport hat für den Breitensport eine Vorbildfunktion. ÖRV-Trainer René Friedl sieht Gründe die für frühes Talentescouting sprechen, warum Rodler Allroundtalente sind und verrät was ihn nach 13 Jahren als Trainer in Österreich noch immer motiviert.
Der Kunstbahnrodelsport steht alle vier Jahre im Blickpunkt der Öffentlichkeit – nach den Olympischen Spielen sprachen Medienvertreter von einem Rodlmärchen. Tatsächlich ein Märchen oder das Ergebnis harter Arbeit?
Seit 13 Jahren bin ich nun hier in Österreich Cheftrainer. Wir haben es geschafft zu jedem Saisonhöhepunkt zumindest eine Medaille zu erringen. Weltcup, Weltmeisterschaften, Olympische Spiele, die Medaillengewinner Gebrüder Linger sind da natürlich sehr präsent , auch Nina Reithmayer, das Duo Penz/Fischler, auch Wolfgang Kindl – der seine Leistung jetzt bei Olympia nicht erbringen konnte aber eine Top-Saison hatte. David Gleirscher war ein Überraschungssieger der Olympischen Spiele. Er hatte gezeigt, dass er schnell fahren kann auf dieser Bahn und konnte das dann auch beim Wettbewerb umsetzen. Im Teamwettbewerb hat Madeleine Egle uns überrascht, sie hat immer wieder aufblitzen lassen was in ihr steckt und sich in den vergangenen zwei Jahren permanent und auf einem harten Weg nach oben gearbeitet. Es freut mich natürlich als Trainer wenn zum Saisonhöhepunkt alles so gut aufgeht.
Welche Früchte wird der Rodelverband nach diesen Erfolgen ernten?
Es braucht in der Regel zehn Jahre um einen Athleten vom Nachwuchsbereich in die Spitze zu führen, Ausnahmetalente ausgenommen. Mit Madeleine Egle zeigen sich nun die ersten Früchte der Arbeit im Bundesleistungszentrum. Vielleicht gelingt es uns nun die organisatorischen Strukturen im Leistungssport weiter auszubauen. Der Spitzensport hat natürlich auch für den Breitensport eine Vorbildrolle – neue Sportler sind hoffentlich neugierig auf das Kunstbahnrodeln geworden.
Die Breite im Spitzensport ist klein und orientiert man sich an Medienberichten dominieren Fußball und der Alpine Skisport. Wäre mehr möglich für Österreich?
Natürlich macht es Sinn, sich auf Kernsportarten zu spezialisieren die in der internationalen Spitze sind. Mit den Möglichkeiten die wir hier in Österreich haben wird man nicht alle Sportarten im Spitzensport zu 100 Prozent fördern können. Auf der anderen Seite braucht es natürlich den Breitensport, weil Sport ein positiver Lebensinhalt ist und was den Leistungsport anbelangt haben wir vor allem bei gerade Jüngeren ein Imageproblem. Der Mensch braucht in seinem Leben gewisse Ziele. Wie bekomme ich Ziele? Natürlich formt das Umfeld den Menschen, wenn ich erfolgreiche Athleten sehe, die gewisse Ziele erreichen spornt das einige Kinder an sich auch wieder sportlich zu betätigen. Der Eine oder Andere entdeckt auf diesem Weg den Breitensport. Es geht letztlich gar nicht immer um den Spitzensport. Wobei ich feststelle, dass hier mitten in den Bergen viele bewegungsfreudige Menschen leben die auf diese Bergen wandern oder laufen.
In Bludenz entsteht eine neue Kunstbahn. Inwiefern kann Tirol davon profitieren?
Vorarlberg ist für mich ein kleiner Vorreiter in der Fokussierung im Leistungssport mit ihrem Stützpunkt und dem Heeresleistungszentrum in Dornbirn sowie dem Olympiastützpunkt. Mit der Landesförderung haben sie es geschafft sich einen zentralen Ort zu schaffen an dem Leistungssportstätten frei verfügbar sind. Man kann dort auch kurzfristig auf Unterkünfte zugreifen. Alles liegt recht zentral, es sind auch Physiotherapeuten vor Ort, auch teilweise Ärzte und es gibt eine durchgehende Küche mit leistungssportgerechter Ernährung. Es wurde ein zentraler Ort geschaffen an dem sich Sportler und Trainer begegnen und austauschen können. Davon kann Tirol noch viel lernen. In Bludenz entsteht eine neue Kunstrodelbahn die speziell für den Nachwuchs gebaut wird. Aus dem Ausland gibt es bereits Interesse an dem modularen System, das nach Polen, Rumänien und die Ukraine exportiert werden könnte. So gelingt es international den Kunstbahnrodelsport auf eine breitere Basis zu stellen. Für die Vorarlberger wird die neue Bahn mit der Saison 2020/2021 eine Entlastung bringen, denn das häufige Pendeln nach Tirol ist dann nicht mehr nötig.
Welche strukturellen Herausforderungen siehst du als Trainer in Tirol?
Wir sind in Tirol noch sehr zerklüftet – der Olympiastützpunkt ist an die Universität angeschlossen, das Landesleistungszentrum liegt hier im Süd-Westen. Wir haben eigentlich keine Möglichkeit für unsere Athleten, dass sie sich sportartenübergreifend an einem Ort treffen an dem leistungssportgerechtes Essen geboten wird. Es gab mehrere Versuche, aber es ist bisher nicht gelungen alles in eine Drehscheibe zu fassen. Das wäre eine große Aufgabe wenn wir schon von weiteren Entwicklungen im Nachwuchsleistungssport sprechen. Ich denke an etwas ähnliches wie das Sportgymnasium in Stams. In Tirol gibt es bereits Schulen wie SportBORG und SportHAS, aber für eine Drehscheibe in der alle Sportarten vertreten sind bräuchte es den politischen Willen.
Welche Vorteile würde eine Drehscheibe im Spitzensport bringen?
Profitieren würden Athleten und Trainer. Die Dynamik unter den Athleten verändert sich. Man motiviert sich untereinander, hebt das Level hoch. Ich habe das selber im Internat erlebt. Das würde dem Leistungssport hier auch gut tun, dass man sich zusammen Schritt für Schritt hocharbeitet. Für den Einzelnen wäre eine Zentrum eine Möglichkeit sich zurückzuziehen, zum Beispiel ein Ruheraum um Hausaufgaben zu machen – das ist hier im Landessportzentrum schon gut möglich. Mit den neuen Krafträume sind wir auch flexibler in der Organisation des Trainings und können auf den Rhythmus der einzelnen Sportarten besser eingehen. Es mach keinen Sinn eine öffentliche Halle zu mieten, wenn ich sie ein halbes Jahr nicht nutze, weil ich international zu Wettbewerben und Trainingslagern unterwegs bin. Auch die Trainer können sich hier sportartenübergreifend leichter austauschen und darin liegen neue Chancen für frühe Talentsichtung.
Du bist als Leistungssportler in der DDR groß geworden und hast später als Trainer in Deutschland gearbeitet. Welche Unterschiede bemerkst du in deiner Arbeit hier in Österreich?
In Deutschland wird viel strukturierter gearbeitet, weil man weiß dass sich die Grundlagen für später im Nachwuchsbereich entwickeln. Es ist wichtig als Verband im Nachwuchsbereich ein professionelles System aufzubauen und dort mit gut ausgebildeten Trainern die Talente erstmals allgemein sportlich auszubilden. Es geht dabei noch gar nicht konkret um die Sportart Rodeln, sondern um eine koordinative Grundausbildung mit der ich dann in jede Sportart bis zu einem bestimmten Level weitergehen kann. Wir haben hier einiges weitergebracht in den vergangenen Jahren, sichtbar wird das in Trainingslagern, in Vereinen und durch das Einbeziehen der Eltern – Mundpropaganda ist dafür ein wirksames Werkzeug. Sandra Lembert hat hier eine schöne Gemeinschaft aufgebaut.
Aber in manchen Sportarten macht es schon Sinn möglichst früh mit der leistungsbezogenen Ausbildung zu beginnen.
Wenn ich an Geräteturner denke, dann geht das leistungsorientierte Training eigentlich schon im Kindergarten los. Auch beim Eistanzen oder im Eiskunstlauf sollte man zeitig beginnen, um überhaupt die koordinativen Fähigkeiten die dafür gebraucht werden entwickeln zu können. In Sportarten wie den Rodelsport kann ich auch noch mit zehn Jahren einsteigen wenn die koordinativen Grundlagen gelegt worden sind. Ideal wäre natürlich für jede Sportart möglichst früh eine Talentauswahl zu treffen. Die Kunstbahnen lassen aus technischen Gründen nicht viel mehr Frequenz zu, weil immer nur ein Schlitten auf der Bahn unterwegs sein kann. Wenn wir in mehreren Disziplinen in einer Sparte olympisch wären, könnte sich auch die Breite in der Mitte vergrößern. Mit dem Naturbahnrodelsport spreche ich auch wieder mehr Athleten an. Als Verband haben wir hier noch viel zu tun.
In Deutschland gibt es ein Sportkonzept das eine Grundausbildung vorsieht. Wie kann man sich als Verein weiterhelfen?
Als Verein dürfen wir lernen in alle Richtungen offen zu sein, da es Talente gibt, die sich nicht als Fußballer eignen aber etwa im Bob-Sport brillant sein können. In Deutschland gibt es ein Sportkonzept, das nach einer guten Grundausbildung die Fokussierung auf eine Sportart vorsieht. Das wäre der Vorteil einer Drehscheibe in der alle zusammenkommen, dort findet Kommunikation einfach statt und du musst nichts aufbauen. Wir haben mit den Skispringern unsere Berührungspunkte aber das war es dann auch schon. Eine kleine und leicht umsetzbare Drehscheibe könnte das Mittagessen sein.
Stärkere Strukturen könnten auch Eltern in Tirol entlasten?
Wir versuchen die Eltern finanziell zu entlasten indem wir über den Verband einige Kosten abdecken können. Dennoch geht es ohne die Unterstützung der Familien nicht, viele Jugendliche sind allein zwei Stunden nur mit ihren Beförderungsmitteln unterwegs. Eine zentrale Drehscheibe könnte vieles erleichtern, dabei spreche ich nicht grundsätzlich von einem Internat.
Du hast in de DDR viel Struktur erlebt. Welches Bild hast du heute mit etwas Abstand?
Ich bin in dem typischen DDR Leistungssport groß geworden der leider nach außen nur mit Doping in Verbindung gebracht wird. Das System war sehr stark durchstrukturiert und da gab es manchmal sehr starke Richtlinien jedoch mit ganz klaren Möglichkeiten für den Spitzensport. Ich hatte mich mit 13 Jahren entschieden dort eine Aufnahmeprüfung zu machen.
Im Zusammenhang mit dem Leistungssport in der DDR wird vielfach von Zwang gesprochen. War es deine freiwillige Entscheidung?
Jetzt greifen wir nochmals das Thema Talentsichtung auf. Es gibt vielleicht tatsächlich Sportarten in die man die Kinder damals geschoben hat. Es hat hauptamtlich Tätige gegeben die unterwegs waren um Talente für den Nachwuchsbereich zu sichten. Ich persönlich bin freiwillig zum Rodelsport gekommen und ich gehe davon aus, dass auch andere freiwillig sich interessiert haben. Es ist natürlich schwierig im Nachhinein zu beurteilen ob derjenige dorthin geleitet worden ist, z.B. durch einen Freund der sagte „komm doch mal dahin“, oder ob er freiwillig gekommen ist. Ich habe es nie erlebt, wie es oft im Nachhinein transportiert worden ist, dass jemand mit „der Peitsche“ zum Rodelsport getrieben worden ist. Es gab Tests, an denen ich teilgenommen hatte – wenn ich keine Lust darauf gehabt hätte, dann hätte ich bei den Tests nicht gescheit mitgemacht und wäre dann sowieso rausgeflogen. Ich habe zu Hause im Verein daraufhin trainiert um bei den einzelnen Stationen gut zu sein. Dann wurde ich zu Ärzten geschickt, das kann man heute auch so oder so auslegen. HNO-, Augenarzt, Orthopäde haben gecheckt ob es irgendwelche Schäden gibt. Aus meiner Sicht wurde geklärt ob der junge Mensch überhaupt belastbar ist und es überhaupt Sinn für denjenigen macht in den Leistungssport zu gehen. Man hat auch festgestellt wie groß die Leute werden, da es einfach keinen Sinn macht einen Kugelstoßer zu fördern der nur 1,50 groß wird. Es war ein sehr durchstrukturiertes System mit einer leistungssportorientierten Ausrichtung, das natürlich auch seine Schattenseiten hat. Ich brauche nicht unbedingt die Struktur eines Internats um qualitätsvoll mit jungen Menschen in Richtung Spitzensport arbeiten zu können.
Was treibt dich als Trainer heute an?
Anfangs war es die Lust auf etwas Neues. Wobei ich mich erst daran gewöhnen musste, dass die Uhren in Österreich anders ticken. Heute sehe ich viel Knowhow und auch viel Unterstützung, aber Manches versickert irgendwo in dieser Weitläufigkeit. Mit unterschiedlichen Trainern und in der nächsten Generation an Sportlern haben wir es geschafft in der kleinen Rodlfamilie unsere Ziele zu erreichen, die auch immer wieder versucht sich mit Innovationen im Training, Trainingsgerätebau und im Verband weiterzuentwickeln. In Deutschland haben mit mir vor zehn Jahren 30 Trainer gearbeitet. In Österreich war ich der erste hauptberufliche Trainer, inzwischen sind wir zu Dritt. Wir arbeiten wie ein Kleinbetrieb und haben unser Büro entsprechend vergrößert. An dieser Basis werden wir weiter arbeiten. Ein Großteil der Erfolge gelingt natürlich nur über den übergebührlichen Einsatz verschiedener Menschen im Verband und in den Vereinen und auch ohne die Eltern wäre das alles nicht möglich.
Vielen Dank für das Gespräch!